Die Nacht war etwas unruhig. Ich war noch aufgewühlt und wachte nachts des öfteren auf, obwohl nur 4 Pilger im Schlafsaal waren. Am morgen lernten wir Joel, eine Spanier, der in Frankfurt lebte kennen. Er sprach sehr gut deutsch und wollte den Camino de Norte pilgern. Nach einem guten Frühstück machten wir uns auf zum Bahnhof. Dort mussten wir wieder fast 2 Stunden warten bis der Bummelzug nach St. Jean pied de Port fuhr. Lelia meinte, das wir kein neues Ticket lösen für die Fahrt, sie würde das dem Schaffner schon erklären. Lelia, mein Caminoengel. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich noch in Paris am Bahnhof. Lelia sollte auf meinen weiteren Weg mein Caminoengel bleiben und mich bis zum Ende des Weges immer wieder mal begleiten. Was ich an dieser Stelle noch nicht wissen konnte. Gegen Mittag kamen wir endlich dort an. Hier war also der Beginn des berühmten Camino Frances und ich war zurück an diesen Ort an dem ich bereits 2016 gewesen bin. Im dortigen Pilgerbüro wurden die Pilger an verschiedenen Schaltern mit Informationen und Listen mit Pilgerherbergen versorgt. Es herrschte ein reges Treiben in diesen kleinen Ort. Auf dem Weg hinaus aus der Stadt kamen wir an der Herberge Kaserna vorbei und ich ging hinein, um mich zu entschuldigen, das ich gestern nicht kommen konnte. Man hatte natürlich dafür Verständnis und sagte, ich solle doch heute dort bleiben. Gerne wäre ich geblieben, aber ich hatte ja die Herberge Orisson reserviert,. Nach einer kurzen Unterhaltung trat ich mit Lelia den Weg aus der Stadt an. Nach einiger Zeit merkte ich, das Lelia etwas schneller als ich unterwegs war und sagte, das sie ruhig ihr Tempo gehen soll. Anfänglich lief es eigentlich ganz gut und ich dachte an 2016 zurück. Damals brauchten wir für den Weg nach Orisson ca, 2,5 Stunden, allerdings waren wir damals schon eine Woche unterwegs und eingelaufen. Aber an diesen Tag mit 40 Grad im Schatten sollte es ganz anders kommen. Mit jedem Schritt wurde der Weg immer schwerer. Auch hatte ich nicht genug zu trinken mitgenommen und auch nicht an einen zusätzlichen Zuckerschub in Form einer Cola gedacht. Auch hatte ich die Steilheit des Weges nicht mehr so in Erinnerung. Dazu waren am Nachmittag kaum noch Pilger zu sehen, da die meisten doch früh in St. Jean starten. Irgendwann stand ich mehr am Wegesrand um Pause zu machen, als das ich ging. Mehr und mehr kam ein Zustand der völligen Erschöpfung in mir hoch und ich fragte mich, warum ich mir das noch einmal antue. Wenn schon die ersten Kilometer so schwer sind, wie soll es dann erst die nächsten 890 km werden. Ich beschloss zu kämpfen und setzte mir immer ein kleines Zwischenziel. Die Telegrafenmasten am Weg wurden zu meinen kleinen Zielen an denen ich immer eine kleine Pause einlegte. Irgendwann kam eine Wasserstelle und ich verpasste diese in meinem Tunnelblick. Als ich auf einem Stein eine Rast einlegte sah ich ca. 50 Meter hinter mir 2 Pilger an dieser Wasserstelle. Verrückt, ich hatte sie einfach nicht gesehen, so sehr war ich beschäftigt mit meinem persönlichen Kampf zwischen mir und dem Camino. Nein, ich gehe nicht zurück zur Wasserstelle. Ich war einfach zu schwach dafür an diesem Tag. Und so teilte ich mir das restliche Wasser in kleine Portionen ein. Irgendwann musste doch Orisson kommen. Es zog sich endlos und zäh dahin. Endlich nach einer Kurve sah ich die Refuge Orisson und war froh dort anzukommen. Nach sage und schreibe 4 Stunden kam ich auf meiner ersten Etappe nach nur 8 km an. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich hatte schon so viel Erfahrung auf dem Camino und viele Etappen auf Jakobswegen hinter mir, aber so hart wie diese heutige Etappe war keine einzige davor. Keine Etappe brachte mich je so an meine psychischen und pysischen Grenzen wie diese. Nie zuvor hatte ich so gezweifelt wie heute mein Ziel Santiago zu erreichen. Doch diesmal war alles anders. Ich zweifelte. Wenn jemand gekommen wäre, und hätte mir eine Rückfahrkarte hingelegt, ich glaube ich hätte sie genommen. Zum Glück kam keiner mit der Rückfahrkarte. Man muss allerdings dazu sagen, das schon einiges an diesem Tag zusammen kam. Völlig gestresst aus dem Berufsleben, eine knapp 4 Wochen zurückliegende heftige Corona Erkrankung, die Hitze mit über 40 Grd und die lange Anreise. Dazu noch meine Polyneuropathie, eine Nervenerkrankung in den Beinen als Handycap, die mich zusätzlich behinderte. Ich musste darauf achten das ich durch diese Fußheberschwäche nicht stolpere. Völlig durchgeschwitzt kam ich in der Bar an und bestellte zu allererst ein eiskaltes großes Bier und eine eiskalte große Cola. In einem zug trank ich beides, noch völlig naßgeschwitzt und außer Atem. Jetzt konnte ich mein Bett im Schlafsaal beziehen, Wäsche waschen und Duschen. Im Schlafsaal lagen an diesem Nachmittag schon einige Pilger in den Betten. Anschließend machte ich es mir auf der Terasse gemütlich um meinen Wasserhaushalt wieder auszugleichen. Dabei lernte ich Werner kennen, einen Pilger, etwas älter als ich. Er kam aus dem Hunsrück und es war sein erster Camino. Er erzählte von den gleichen Schwierigkeiten wie ich sie hatte an diesem Tag und so war ich jetzt etwas beruhigt, das es mir nicht alleine so erging. Werner hielt sogar ein Fahrzeug an um auf den Berg zu kommen. Lelia kam nun auch dazu, sie wirkte als einzige von uns noch recht frisch. Sie war ja auch 41 Jahre jünger und 41 kg leichter als ich. Am Abend gab es ein gemeinsames Abendessen in der Gaststube. An einem der langen Tische saß ich mit Werner aus dem Hunsrück. Gegenüber von mir saß Magdalena aus Polen, eine sehr sympathische und sehr gläubige Pilgerin. Wir verstanden uns vom ersten Augenblick an, obwohl sie kein deutsch sprach. Aber mit Englisch ging es einigermaßen. Die Pilgerrunde war bunt gemischt, aus allen Teilen der Welt kamen sie, um hier zu beginnen und uns alle vereinte eines – das gemeinsame Ziel Santiago de Compostela. In einer Vorstellungsrunde durfte jeder Pilger sagen, woher er kommt und warum er auf dem Camino ist. So erfuhr man gleich am ersten Abend die Namen der Pilger und ihre verschiedenen Motivationen. An diesem Abend enstand so etwas wie eine Gemeinschaft der Orisson Pilger. Da die Sprache auf dem Weg Englisch ist nannten einige diese Gemeinschaft Orisson Family. Viele von ihnen sollte der Zufall, den es ja nicht gibt, wieder auf den Weg und auch am Ziel zusammenführen. Auffallend war, das relativ wenige Deutsche da waren. Das Pilgermenü war reichlich und schmeckte sehr gut. Auf der Terasse lies ich den Tag ausklingen und beobachtete den aufgehenden Vollmond in den Pyrinäen. Mit leichten Zweifeln ging ich an diesem verrückten und schwersten Tag auf dem Camino ins Bett.
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10.08.2022 Anreise nach St. Jean pied de Port
Die letzten Tage vor der Abreise waren ganz schön stressig. Sowohl auf der Arbeit, im Pfarrbüro und auch zu Hause wollte alles noch erledigt werden. Ich stresste mich da ganz schön rein, aber es ist doch ein besseres Gefühl, wenn man weis, alles ist so weit vorbereitet und auf den Weg gebracht, so das man beruhigt gehen kann. Und so brachte mich Heike und mein Enkel Anton zum Bahnhof nach Kronach. Beim Abschied war mir schon etwas wehmütig die beiden zurück zu lassen. Anton hatte ich immer wieder mal das Bild gezeigt das mich in Finisterre am Ende der Welt zeigt. Es ist auch mein Startbildschirm auf Handy und PC. Zu Anton sagte ich immer, das wir beide mal dort zusammen hingehen. Es wäre natürlich genial dort mit meinem Enkel an dieser Stelle nach einem Camino zu stehen. Aber das ist noch Wunschdenken. Mit dem 9 Euro Ticket ging es mit der Bahn nach Frankfurt. Dort übernachtete ich in einem kleinen Hotel in der nähe des Bahnhofes um am nächsten morgen den Zug nach Paris zu nehmen. Überpünktlich stand ich am Bahnsteig und wartete auf den Zug. Aber an der Anzeige stand, das der Zug ca. 45 Minuten Verspätung haben würde. Das ging ja schon mal gut los. Fast zeitgleich kam eine Mail der französischen Bahn, das der Zug in Paris eine halbe Stunde Verspätung haben würde. Man musste ja die Bahnhöfe in Paris wechseln, von Paris Est auf Paris Monteparnasse. Dafür war normal 1 Std. 20 Minuten Zeit. Da dachte ich mir, das würde ja dann trotzdem noch passen. Am Bahnsteig stand auch ein junges Mädchen. Sie hatte auf ihrem Rucksack eine Jakobsmuschel und so war zu vermuten, das auch sie auf den Camino gehen würde. Kurzerhand sprach ich sie an und sie bestätigte meine Vermutung. Sie erzählte, das sie schon in Paris war und sich auch mit der Metro auskennt. Zudem sprach sie auch französisch. Wir verabredeten uns, das wir uns auf dem Bahnsteig in Paris treffen um gemeinsam ein Ticket für die Metro zu kaufen. Im Zug ging ich zu den Schaffnern um mir Infos für den Anschlußzug zu holen. Sie schrieben mir auf französisch eine Nachricht aufs Ticket mit der Verspätungszeit. Auch gab es für die Metro keine Tickets im Zug zu kaufen, obwohl es auf der Webseite hies, es gäbe welche. Nachdem der Zug die Verspätung nicht aufholen konnte gingen wir schnellstmöglich zu den Ticketschaltern, und das was uns dort erwartete verschlug uns die Sprache. Bis auf 2 Ticketautomaten waren alle anderen außer Betrieb und vor den beiden anderen endlose Schlangen, so das es keinen Sinn machte sich dort an zu stellen. Also beschlossen wir ein Taxi zu nehmen. Das brauchte aber durch den Pariser Verkehr auch gefühlt eine halbe Ewigkeit. Wir kamen um 12.09 Uhr an und suchten auf der Anzeige nach unseren Zug. Fehlanzeige, der Zug war gerade weg vor unseren Augen, obwohl er planmäßig eigentlich um 12.11 Uhr fahren sollte, und das ohne die angekündigte Verspätung. Mit Lelia, so hieß das junge Mädchen ging ich zum Schalter der französischen Bahn. Zum Glück sprach Lelia perfektes französisch. Dort sagte man uns, das in 2 Stunden nochmal ein Zug nach Bayonne gehen würde, allerdings würden wir keine Platzreservierung im TGV bekommen. Wir dachten uns nichts dabei und warteten gemütlich am Bahnhof auf den Zug. Nach der Ankunft in Bayonne würden wir dann noch den letzten Zug nach St. Jean pied de Port bekommen. Dort hatten sowohl ich als auch Lelia eine Unterkunft gebucht. Meine Unterkunft sollte die gleiche sein wie 2016, die kirchliche Herberge Kaserna. Diese konnte man nur einen Tag vorher buchen. Dankenswerterweise hatte das Andre, mein französischer Freund, für mich erledigt. Es funktioniert eben alles besser wenn man die Sprache spricht, oder man hat jemanden der es kann. Die Zeit verging am Bahnhof nur langsam, aber endlich wurde unser Zug angezeigt. In der Warteschlange trafen wir auf einen anderen Deutschen, der eine ähnliche Verspätung hatte wie wir. Er konnte nicht glauben, das wir ohne Sitzplatzreservierung in den TGV kommen würden. Noch immer dachten wir uns nichts dabei und stiegen im hinteren Teil des Zuges ein, um von dort nach vorne einen freien Sitzplatz zu suchen. Diesen fanden wir auch recht schnell und der Zug fuhr planmäßig los. An der Anzeige erschien dann die Zugnummer 7574. Ich meinte noch zu Lelia, das muss ein Zahlendreher sein, unser Zug hatte doch die Nummer 7547. Aber darunter stand, das der Zug nach Tarbes fährt. Tarbes kannte ich noch, das war in der Nähe von Lourdes, was ja eine ganz andere Richtung ist. Jetzt wurde auch Lelia unsicher. Kein Schaffner war in der Nähe zu sehen, und so beschlossen wir am nächsten Bahnhof auszusteigen, was sich als fataler Fehler erweisen sollte. Nun standen wir irgendwo im Nirgendwo von Frankreich. Am Bahnschalter versuchte Lelia der Dame zu erklären wie das alles zu Stand gekommen ist. Ich bewunderte das junge Mädchen, wie sie diese Situation plausibel erklären konnte. Es stellte sich heraus, das der Zug in Bordeux geteilt wurde, der eine vordere Teil mit der Nummer 7547 wäre nach Bayonne gefahren, der andere hintere Teil mit der Nummer 7574 fuhr nach Tarbes. In diesen wären wir gesessen. Die Frau in Paris hätte uns nur sagen müssen, das wir in den vorderen Teil des Zuges gemusst hätten. Aber so saßen wir jetzt fest. Nach langen suchen, sagte man uns, das es noch ca. 3 Stunden später einen Zug gibt, der nach Bayonne geht. Allerdings würden wir dann erst um 22.00 Uhr dort eintreffen. Keine Chance mehr um nach St. Jean pied de Port zu kommen. Also mussten wir eine Unterkunft in Bayonne suchen. Dort gab es eine Pilgerherberge. Lelia telefonierte mit dieser, und sie hatten für uns auch noch einen Platz. Allerdings sollte diese um 21.00 Uhr schließen, aber die Frau dort sagte, sie würde auf uns warten. Das gibt es nur auf dem Camino, obwohl wir uns noch auf der Anreise befanden. Auch mussten wir unsere Unterkünfte in St. Jean pied de Port absagen. Lelia musste ihr Unterkunft leider bezahlen. Meine Unterkunft in der Kaserna konnte von Andre storniert werden. Ich hatte ja für den nächsten Tag nur die Strecke bis Orisson geplant und wollte dort auch übernachten. Diese hatte ich auch von zuhause aus reserviert. Lelia wollte keine Zwischenstation dort machen, konnte aber aufgrund, das wir erst gegen Mittag des Folgetages in St. Jean pied de Port ankommen sollten, nicht komplett mehr über die Pyrinäen gehen. Sie versuchte in Orisson anzurufen. Nach mehrmaligen Versuchen gelang es ihr auch dort ein Bett zu bekommen. Nun war erstmal alles geregelt und wir hofften, das es jetzt reibungslos nach Bayonne gehen würde. So war es auch dann. Dort angekommen mussten wir per Google Map unsere Herberge suchen. Wir fanden sie recht schnell und bekamen dort auch noch etwas zu Essen und Trinken, hatten wir doch vor lauter Aufregung das ziemlich vernachlässigt. Nun waren wir also in einer Pilgerherberge und angekommen auf dem Camino. Noch stellte sich kein Pilgerfeeling ein, was auf die anstrengende Anreise zurück zu führen war. Nach einem langen Tag fiel ich total erschöpft ins Bett und war froh hier zu sein.