22.08.2022 12. Etappe Granon nach Tosantos

Die Nacht verlief für mich ruhig. Ich muss tief und fest geschlafen haben. Werner ging es in dieser Nacht wirklich schlecht und hatte heftigen Brechdurchfall. Obwohl ich die Matratze neben ihn hatte, bekam ich nichts mit. Gegen 5.30 Uhr war aber für die meisten die Nacht auch zu Ende, denn um diese Zeit fing eine Asiatin an ihre Sachen zu packen. Das rascheln der Plastiktüten war dabei nicht zu überhören. Man lag zwar da, aber einschlafen konnte man nicht mehr. So entschloss ich mich aufzustehen. Nach dem Packen des Rucksackes konnte man hier in der Herberge Frühstücken. Wie immer ein relativ einfaches Frühstück. Weißbrot, Butter und Marmelade, dazu Kaffee. Das hatte die äußerst freundlichen Hospitaleros Josefine und Angel vorbereitet. Nach und nach standen alle Pilger auf und frühstückten. In den Herbergen mit Frühstück ist die Unterhaltung am Morgen meist geprägt von den Fragen – Wie ist das Wetter? – Wie weit willst Du heute gehen? Werner sah immer noch recht blass aus, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Zusammen machten wir uns auf den Weg. Es war gerade hell geworden und die Sonne begann aufzugehen. Später zogen einige Wolken auf und es war nicht mehr ganz so heiß. Dadurch war es ein angenehmes Gehen. Die Wege waren recht flach und am späten Vormittag schon kam der Ortseingang von Belorado mit der Luxusherberge. In der Ortsmitte kam man dann an die Kirche und die nebenanliegende Herberge. Diese wird von der schweizerischen Pilgergesellschaft betreut. Hier kamen die schönen Erinnerungen an den Aufenthalt 2017. Besonders musste ich mich an den besonderen Pilgersegen in Belorado erinnern. Wir machten hier eine kleine Rast. Werner ging es immer noch nicht besser und die Pause war willkommen. Vor der Herberge machte die Hospitalera gerade sauber und ich kam mit ihr ins Gespräch. Sie berichtete das gar nicht so viele Pilger in den letzten Tagen in der Herberge waren, obwohl doch in diesem Jahr das Pilgeraufkommen aufgrund des Heiligen Jahres höher als sonst ist. Zum einen liegt es daran, das die Herberge am Ortseingang einige Pilger abfischt und zum andern suchen mittlerweile viele Pilger mehr Luxus und Privatsphäre. Dies können Private Herbergen im Gegensatz zu den kirchlichen und gemeindlichen Herbergen anbieten. Eigentlich schade, den viele dieser Pilger bringen sich so um die Erfahrungen auch mal mit weniger auszukommen. Zwischenzeitlich checkte ich nach einigen Tagen der Abstinenz wieder mal meine Mails. Die Handykommunikation und auch das Internet sowie die Nachrichten hatte ich weitesgehends ausgeblendet. Mich interessierten weder Fußballergebnisse noch irgendwelche Nachrichten. Zu meiner Überraschung war eine Mail vom Versorgungsamt dabei. Darin wurde mir bestätigt, das mein Antrag auf Schwerbehinderung aufgrund der Polyneuropathie stattgegeben wurde. Das diese Mail ausgerechnet in Belorado ankam, einen besonderen Ort für mich aufgrund des besonderen Pilgersegens, konnte kein Zufall sein. Jedenfalls freute ich mich darüber. Nach einiger Zeit der Ruhe in der Kirche von Belorado gingen wir weiter. Gerne wäre ich auch diesmal wieder in Belorado geblieben, aber es waren ja erst 15 km die wir unterwegs waren. Tosantos sollte nach 5 weiteren km das heutige Ziel werden. Dort gab es eine kleine kirchliche Herberge, St. Franziskus auf Spendenbasis. Sie war ebenso wie die Herberge in Granon aufgebaut. Schlicht, einfach und mit einem besonderen Geist ausgestattet. Die 5 km waren schnell geschafft und wir kamen an der Herberge in Tosantos an. Wir waren die ersten Pilger. Die Herberge war noch geschlossen und so setzten wir uns erstmal in den Garten und warteten. Nach und nach kamen noch einige Pilger dazu unter anderem ein junger Mann aus den USA. Er war in Le Puy gestartet und dadurch schon einige Zeit auf dem Camino. Nach einiger Zeit des Wartens kam eine Frau und öffnete die Herberge. Man bekam zuerst etwas zu trinken angeboten und im Anschluss wurden die Daten aufgenommen. Antonio, der etwas ältere spanische Pilger, der ebenso wie wir in Granon war, meldete sich ebenso gerade an. Danach kam ein langer, sehr schlanker Pilger mit einem außergewöhnlichen Bart und einer ebenso außergewöhnlichen Frisur. Nachdem ich festgestellt hatte, das er deutscher war kamen wir näher ins Gespräch. Martin, so dessen Name, kam aus Bad Kissigen. Der erste Franke nach Dominik aus Würzburg. Martin war ein sehr Gläubiger Pilger und hatte bereits viel erlebt. Er war zu Hause gestartet, musste aber aufgrund Corona vor 2 Jahren unterbrechen und startetet dieses Jahr in Frankreich. Martin war Kunsthistoriker und sprach mehrere Sprachen, auch exotische wie Japanisch. Martin hatte auch eine Flöte dabei, die wie bei einem Dudelsack klang. Er spielte dieser immer wieder mal. Wir tauschten unsere Whatts App Nummern aus um in Kontakt zu bleiben. Ab hier sollten sich unsere Wege sich noch öfter kreuzen. Nach der üblichen Pilgerroutine gingen wir in die nebenan gelegene Bar um etwas zu Essen und Trinken. Dort hatten sie leckere Burger und ich hatte richtig Hunger. Werner ging es immer noch nicht besser. Er hatte sich vermutlich etwas an den Brunnen mit dem Trinkwasser eingefangen. Er hat seine Wasserflaschen immer an den öffentlichen Brunnen gefüllt. Obwohl es heißt, das es kein besseres Trinkwasser als aus den Brunnen geben würde, war ich doch vorsichtig und kaufte lieber Mineralwasser in Flaschen. Man hatte die letzten Tage des öfteren von Pilgern gehört mit Magen-Darm Problemen. Werner konnte seinen Burger nicht essen, so das ich heute zu einer 2. Mahlzeit kam. Zurück in der Herberge war relaxen im wunderbaren Garten angesagt. Man saß mit den anderen Pilgern im Schatten und unterhielt sich. Auch besuchte ich die kleine Kapelle die unter dem Dach untergebracht war. Jose-Luis, der die Herberge betreute war großherziger Mann, der eine Ruhe ausstrahlte und die Pilger mit seinen Erzählungen in seinen Bann zog. Nun musste das Abendessen vorbereitet werden. Jeder Pilger bekam von Jose-Luis eine Aufgabe zu geteilt. Ich musste mit Antonio Kartoffeln schälen. Dabei stimmte Jose-Luis immer wieder Pilgerlieder an. Ich erzählte Antonio dabei, das mein Enkel ebenso Anton heißt, was Antonio sichtlich stolz machte. Nachdem alles zubereitet war wurde mit einem Tischgebet das Abendessen begonnen. Werner konnte leider nicht teilnehmen. Die Hospitaleros brachten ihm Tee und Gepäck. Nach dem Abendessen mussten alle spülen und aufräumen bevor man sich in die kleine Kapelle unter dem Dach begab. Hier wurden zunächst Taizelieder gesungen. Jose-Luis hatte Gebete in verschiedenen Sprachen vorbereitet. Da Martin und ich die einzigen deutschsprachigen Pilger waren beteten bzw. sangen wir die Psalmen gemeinsam. Müde, aber glücklich über diesen schönen Tag gingen wir alle zu Bett. Ein Bett war es auch heute nicht, sondern wieder ein Matratzenlager wie gestern. Hoffentlich brauche ich morgen keinen Kran zum Aufstehen.