21.08.2022 11. Etappe Ciruena nach Granon

Die Nacht war ruhig, was ja kein Kunststück war, waren wir doch nur zu zweit auf einem Zimmer. Der Hospitalero hatte das gemeinsame Frühstück schon vorbereitet. Ein neues Gesicht war heute früh am Tische. Ein Pilger der gestern Abend sehr spät gekommen sein muss. Es stellte sich heraus, das es ein Deutscher war. Ein durchtrainierter Mann so um die dreißig Jahre alt. Natürlich sprach ich ihn darauf an, warum er gestern so spät kam. Er sagte, das er jeden Tag so lange unterwegs wäre. Sein Tagespensum beträgt immer zwischen 45 und 50 km. Deshalb muss er ja früh starten und kommt immer spät an. Ich meinte zu ihm, das das eigentlich nicht viel mit Pilgern zu tun hat, aber er war eigentlich nicht als Pilger unterwegs, sondern vielmehr aus sportlichen Gründen. Er erzählte, dass seine erste Etappe von St. Jean pied de Port über die Pyrinäen bis Zubiri in einem Stück war, das sind 46 km. Welch ein Wahnsinn. Ich meinte nur zu ihm, ob es nicht besser wäre solche Strecken irgendwo anders zu laufen, z.B. auf Mallorca, als auf dem Camino. Dort würde er wenigstens den Pilgern nicht den Schlafplatz wegnehmen und die Wege verstopfen. Das gefiel ihm gar nicht, was ich da so sagte. Meine Worte taten mir auch gleich leid und entschuldigte mich dafür. Als Pilger muss man eben solches auch aushalten, wie so manche anderen negativen Auswüchse die der Boom des Camino so mit sich bringt. Dazu später sicherlich mehr. Der erste Ort der kam war Santo Domingo de Calzada. Gleich am Ortseingang kam das Zisterzienserkloster in dem Edgar und ich zusammen mit Conny übernachtet hatten. Da kamen schöne Erinnerungen zurück. Aus der nebenan liegenden Kirche hörte ich Gesang und ging hinein. Die Nonnen hielten gerade ihre Morgenandacht mit Gesang. Einfach herrlich. Ich nahm mir die Zeit um ihnen in aller Ruhe zuzuhören. Zu dieser Zeit waren kaum noch Pilger zu sehen. Die meisten machten ja hier in Santo Domingo halt, einen der Hauptorte und waren meist schon wieder unterwegs. In der Stadtmitte steht eine berühmte Kathedrale. Dort fand der Legende nach das berühmte Hühnerwunder statt. In der Kathedrale del Salvador in Santo Domingo de la Calzada erinnert ein Hühnerkäfig mit einem lebenden Hühnerpaar, das alle zwei Wochen ausgetauscht wird, an das Hühnerwunder des heiligen Domingo. Auf dem Weg nach Santiago nächtigt ein deutsches Ehepaar mit seinem Sohn in der Herberge zu Santo Domingo. Die Wirtstochter fand den Sohn der Familie sehr attraktiv, der fromm und keusch
ihr Angebot aber zurückwies. Die Zuneigung der Wirtstochter wandelte sich in bösen Zorn, sie sann auf Rache und versteckte einen Silberbecher in seinem Gepäck. Der Wirt bemerkte am Folgetag den Verlust und schickte die Stadtbüttel aus, die auch schnell fanden, was sie suchten. Der junge Mann wurde nach kurzem Prozess aufgehängt und die Eltern zogen traurigen Herzens weiter nach Santiago. Auf dem Rückweg kamen sie wieder an der Richtstatt vorbei, wo sie ihr Sohn ansprach, dass er gar nicht tot sei, weil ihn Santiago gehalten habe. Die Eltern liefen daraufhin zum Richter, der vor einem Teller gebratener Hühner saß, und berichteten das Vorgefallene. Der Richter antwortete, dass ihr Sohn so tot sei wie die beiden Hühner vor ihm, worauf diese sich erhoben und davonflatterten. Nun wurde der Sohn ab- und die Wirtstochter aufgehängt, die Familie zog weiter nach Hause. Natürlich ging ich in die Kathedrale um den Hahn krähen zu hören. Was mittlerweile etwas unschön ist, das man in diesen Gotteshäusern Eintritt zahlen muss, selbst wenn er nach Vorlage des Pilgerpasses günstiger ist. Auch heute war meine Etappe mit 14 km recht kurz. Das heutige Ziel sollte Granon sein, ein besonderer spiritueller Ort am Camino wie es sie nur noch sehr wenige gibt. Ich hatte darüber sehr viel gelesen und 2017 haben wir dies ausgelassen. Aber diesmal wollte ich unbedingt dort übernachten. Schon am Ortseingang war ein Foodtruck aufgestellt und man konnte in einem Garten eine Rast machen. Sinitia aus den Niederlanden kam auch gerade dazu und so hatten wir ein schönes Gespräch. Ein kleiner wusseliger Italiener ging von Tisch zu Tisch und machte Werbung für die Übernachtung in Granon. Er sollte viel später noch für ein negatives Erlebnis sorgen. Dazu später mehr. Es war ja noch später Vormittag und eigentlich zu früh um den Tag zu beenden, aber Granon wollte ich erleben und diesen besonderen Geist spüren. Irgendwie hatte ich dieses Granon anders in Erinnerung und verwechselte es an diesem Tag mit einer anderen Herberge am Weg die ähnlich war. So kam es, das ich bereits komplett durch Granon durch war und dachte die Herberge liegt außerhalb der Ortschaft. Zum Glück war am Ende von Granon eine Art Aussichtsplattform wo man schöne Fotos machen konnte. Werner, der ja gerne jedes Motiv fotografierte machte dort einige Fotos. Wir baten eine anwesende einheimische Frau darum, ein Foto von uns zu machen. Wir fragten si noch nach der Herberge in Granon und sie sagte, das wir schon viel zu weit seine. Diese wäre in der Ortschaft gleich hinter der kleinen Kirche. Sie bot uns an uns dorthin zu bringen, denn sie vermutetet das diese noch nicht offen sei. Sie würde den Hospitalero kenne und uns hinbringen. Dort angekommen war die Herberge zwar offen, aber keiner da. Die Frau suchte nach ihm und kam mit ihm zurück. Wir waren an diesem Tag die ersten Pilger dort. Ohne Sie wäre ich vermutlich wieder an Granon vorbei und hätte diese Herberge verpasst, was schade gewesen wäre. Die Schlafplätze waren direkt unter dem Dach der nebenan liegenden Kirche auf Matratzen. Der Hospitaleros hießen Angel und Josefina, diese wiesen uns unsere Plätze zu. In der Herberge in Granon steht die berühmte Spendenbox, auf der steht: Pilger gib was Du kannst – Oder nimm heraus was Du brauchst. Mir fiel nur auf, als ich am nächsten Morgen meine Spende in die Box warf, war nichts drin. Ich ging erst nach einer Weile und schaute nochmal in die Box, diese war plötzlich leer. Entweder leeren sie die Box gleich nach der Spende oder es hat doch ein Pilger etwas herausgenommen. Jenn aus London kam auch gerade hinzu. Auch Antonio, ein Spanier und Andre aus Rumänien, den ich das letzte mal in Pamplona getroffen hatte, kamen in die Herberge. Wir freuten uns einander wieder zu sehen und es war schön sich mit ihr zu unterhalten. Plötzlich stand der kleine wusselige Italiener vor uns und fing an uns zu umarmen. Sein Name war Andrea. Erst später erfuhren wir, das er den Camino ohne Geld machte und hier in Granon machte er einen Zwischenstopp um dort mit zu helfen. Wahrscheinlich durfte er dafür übernachten und bekam zu Essen. Im Nachhinein irgendwie ein komischer Typ von dem noch später zu berichten ist. In der Herberge gibt es 2 Duschen und 2 Toiletten die man mit vielen Pilgern christlich teilen muss. Alles ist sehr spartanisch ausgestattet. Wer Luxus sucht ist hier falsch. Wer aber christliche Gemeinschaft und Einfachheit sucht ist hier richtig. Nach der üblichen Routine verbrachten wir gemeinsam mit anderen Pilgern etwas Zeit in der nebenan liegenden Bar. Dabei konnte man die Pilger beobachten die hier vorbeikamen. Manch bekannte Gesichter begrüßte man und verabschiedete sich wieder mit einem, Buen Camino. Auch das Gebet kam an diesem Tag nicht zu kurz hatte ich doch genügend Zeit. In der kühlen Kirche von Granon fand man eine Oase der Ruhe auf dem Camino und konnte seinen Gedanken folgen. Am Abend stand ein gemeinsames Essen auf dem Programm. Zwei Spanier hatten sich dankenswerterweise bereit erklärt für die Pilger zu kochen. Aber im Garten mussten die Tische aufgebaut und gedeckt werden wozu alle Pilger mit an packen mussten. Das machte Spaß und man kommt mit vielen Pilgern ins Gespräch. Es gab wie immer ein sehr nahrhaftes Essen das allen sichtlich schmeckte. Nach dem Essen musste natürlich alles wieder gespült und aufgeräumt werden. Viele Hände, ein schnelles Ende. Alle halfen mit und es war ein schönes Gemeinschaftsgefühl das hier entstanden ist. Im Anschluss ging es über einen Geheimgang von der Herberge direkt auf die Empore der Kirche. Diese war nach Einbruch der Dunkelheit mit Kerzenlicht ausgeleuchtet. Es wurde zusammen gebetet und gesungen und man beschloss zusammen den heutigen Tag. Obwohl man sich nicht näher kannte entstand ein Gemeinschaftsgefühl wie man es nur auf dem Camino finden kann. Hier fühlte man die Seele des Camino. Mit einem guten Gefühl ging man auf seine Bodenmatratze in der Hoffnung das man am Morgen ohne Rückenschmerzen aufstehen kann.