16.08.2022 6. Etappe Puente de la Reina nach Ayegui


Auch heute konnte ich trotz der vielen Pilger wieder gut schlafen. Bereits früh am Morgen begann es an allen Ecken an zu rascheln. Es sollte wie in den vergangen Tagen wieder recht heiß werden und so machten sich viele bereits in der Dunkelheit auf den Weg. Am Morgen war es doch recht angenehm und erträglich zu laufen. Ab der Mittagszeit musste man schon die Sonne lieben um zu dieser Tageszeit noch zu pilgern. Mir machte die Hitze eigentlich nichts aus, aber da man in den Herbergen sowieso nicht mehr einschlafen konnte machte ich mich auch auf den Weg. Im großen Aufenthaltsraum herrschte reges Treiben. Man hatte den Eindruck viele waren noch in der Findungsphase, hatten doch die meisten keine Pilgererfahrung. Man war mit sich beschäftigt. Viele hatten schon die ersten Blessuren und mussten diese am Beginn des Tages verarzten. Als erfahrener Pilger sah ich den Leuten dabei zu und fragte, ob sie etwas bräuchten. Die meisten waren gut ausgerüstet und hatten für die Blessuren, meist Blasen, etwas dabei. Neben mir packte gerade eine Frau ihren Rucksack. Sie hatte ein rotes T – Shirt mit der Aufschrift „Loreal Deutschland“ an. Da ich aufgrund der Aufschrift vermutete, das sie Deutsche war, sprach ich sie an. Sie freute sich, das ich sie ansprach. Uschi, eine sehr sympathische Frau, kam aus Baden Württemberg und war keine Friseuse, was man durch die Aufschrift eventuell annehmen konnte. Sie hatte ihren Weg in Pamplona begonnen und war recht zügig unterwegs. Nach einiger Zeit kreuzten sich unsere Wege wieder. Sie war mittlerweile mit Xenia, einer Studentin aus Stuttgart unterwegs. Diese hatte das gleiche Tempo wie Uschi. Wir unterhielten uns recht angenehm eine Weile, aber leider konnte ich ihrem Tempo nicht folgen. Sie war recht durchtrainiert und absolut fit für ihr Alter. Schade, aber wir verstanden uns auf Anhieb und ich hätte gerne noch etwas mit ihr geplaudert. Eigentlich hatte ich erwartet sie nicht mehr zu treffen, aber dazu später mehr. Mittlerweile hatte sich die Schar der Pilger etwas gelichtet und es war nicht mehr ganz so viel wie am Anfang des Weges. Ab und zu traf man wieder auf ein paar bekannte Pilger aus Orisson und freute sich beim Wiedersehen. Beim wiedersehen nannten wir uns Mitglieder der „Orisson Family“. Mit jeder Begegnung wurden wir immer mehr eine verschworene Gemeinschaft, was sich bis Santiago fortsetzen sollte. Aber auch dazu später mehr. So etwas kannte ich von den Caminos vorher nicht. Man war ja nicht mit so vielen wie in Orisson gemeinsam gestartet, sondern immer zu zweit. Werner war wieder mit mir ein Stück des Weges unterwegs und wir hatten einander viel zu erzählen. Jeder hatte so seine Geschichten zu erzählen und da wir das gleiche Lauftempo hatten, war es kein Problem miteinander zu gehen. Irgendwie gab es auch einige Paralellen zwischen uns. Werner war vom Typ her eher ein Mensch wie Edgar mein Freund. Er hatte auch bei der Armee lange gedient, was man ihm auch anmerkte, genau wie man es auch meinem Freund Edgar anmerkte. Er kam auch aus einer Landwirtschaft und hatte früh seinen Vater verloren, genau wie ich. Er hatte auch annähernd mein Alter und auch 2 Töchter. Seine jüngste war ebenso wie meine Tochter Theresa Ergotherapeutin. Konnte das alles Zufall sein. Jedenfalls verstanden wir uns recht gut und Werner hatte in mir einen erfahrenen Pilger gefunden, der ihm Insiderwissen vermitteln konnte. So hatte er anderen Pilgern einiges voraus, was das betraf. Werner war ja das erste mal als Pilger unterwegs. Nach einiger Zeit kam die Ortschaft Lorca. Dort gab es noch immer die Wein Bodega in der wir 2016 den Geburtstag einer Pilgerin aus Ungarn feierten. Manche Orte und Erlebnisse kommen dann wieder beim gehen und sehen in den Sinn. Ich hatte für Zuhause eine kleine Whatts App Gruppe „Camino 2022“ gegründet, auf der ich jeden Tag Bilder schickte, damit ein kleiner Kreis, der in der Gruppe war an meinem Camino teilhaben konnte. Werner war ein leidenschaftlicher Fotograf im Gegensatz zu mir. Da ich ja die meisten Orte und den Weg schon kannte machte ich zugegebener Maßen sehr wenige Bilder. Zum Glück hatte ich Werner, der alles in Bildern, vor allem Landschaften, festhielt und mir am Ende des Tages die Bilder schickte. Ich für meinen Teil machte lieber Bilder von Pilgern mit denen ich in Kontakt war. Für die Zeit des Camino hatte ich meine Handynummer deaktiviert und mir eine andere Nummer zugelegt, so das sich die medialen Kontakte in Grenzen hielten. Auch hatte ich nicht vor den Blog live zu schreiben, sondern erst zu Hause mein Tagebuch zu schreiben. Eigentlich wäre das Tagesziel gemäß dem Outdoor Pilgerführer heute Estella gewesen, aber ich wollte irgendwann antizyklisch unterwegs sein. Nicht die großen Orte anlaufen, sonder einfach dazwischen in den kleinen Orten. Lelia hatte gerade geschrieben, sie wäre in Ayegui. Dies lag einige Km nach Estella. Ich freute mich von ihr zu hören und fragte ob den dort noch Platz in der Herberge sei. Da Ayegui kein Hauptort war gab es noch reichlich Platz und so entschloss ich mich auch dort hin zu gehen. Werner wollte eigentlich in Estella bleiben. Ich hatte den Eindruck, das er es etwas langsamer angehen lassen wollte. Ich meinte zu ihm, das er doch in Estella bleiben könnte. Wir würden uns schon wieder sehen. Der Camino verliert niemanden. Ich für meinen Teil freute mich auf Lelia, meinen Caminoengel. Estella war ein sehr schöner Ort. Wir legten dort noch eine Pause in einem der gemütlichen Cafes ein. Herrlich in den kühlen Gassen zu sitzen, eine eiskalte Cola zum aufputschen und die vorbeiziehenden Pilger beobachten. Hier kam ich mit der Bedienung des Cafes ins Gespräch, eine Schwedin, die es hierher verschlagen hatte, Mein Englisch wurde von Tag zu Tag besser und ich konnte wenigstens einen einfachen Smalltalk halten. Werner entschloss sich kurzerhand doch noch die paar Km nach Ayegui mit zu gehen. An der Herberge in Ayegui stand ein Schild 100 km. Wahnsinn, die ersten 100 km von insgesamt 800 km waren geschafft. Wie schnell doch die Zeit verging. Die Herberge war in der Sporthalle der Gemeinde integriert. Hier gab es sogar ein kleines Restaurant und eine Bar. Lelia begrüßte uns schon ganz freudig. Es war sehr wenig los in der Herberge. Nach der üblichen Routine, Duschen und Wäschewaschen musste erstmal der Durst gelöscht werden. Radler in eisgekühlten Gläsern war mittlerweile mein Lieblingsgetränk geworden. Lelia trank keinen Alkohol und Werner zog Bier vor. Belgier sind eben Biertrinker. Im Schlafsaal, der sehr großzügig war hatte Werner sein Bett neben 2 Spaniern. Diese sahen seinen Rucksack und fragten auf welcher Expedition er sich befindet. Werner hatte einen riesigen Rucksack mit insgesamt 19 kg Gewicht. Die beiden Spanier, Carlos aus Madrid und Francesco aus Barcelona waren lustige Typen und machten sich einen Spaß daraus alles zu erraten was Werner so alles im Rucksack haben könnte. Ein lustiger Nachmittag. Lelia und ich machten uns auf zu einem Decathlon Geschäft, das es ganz in der Nähe gab. Die Gummipuffer meiner Walkingstöcke hatten schon den Geist nach 100 km aufgegeben und ich wollte neue kaufen. Ebenso hatte ich mein Messer zu Hause vergessen und konnte hier eines kaufen. Lelia machte ebenso einige Besorgungen. Für den Abend hatten wir uns im Restaurant angemeldet für das Abendessen. Es waren ja nur wenige Pilger da. Das Essen war hervorragend und auch die Unterhaltung mit den beiden Spaniern Francesco, der ein Restaurant in Barcelona hatte und Carlos der Fliesenleger war. Carlos konnte etwas deutsch, da er als Fliesenleger einige Jahre in Deutschland gearbeitet hatte. Das Thema war weiterhin der Rucksack von Werner, was alle erheiterte. Irgendwann kam dann das Gespräch auf den Grund warum man den Weg geht. Carlos und Francesco waren beide im christlichen Glauben auf dem Weg. Sie machten jedes Jahr den Weg in Etappen. Am morgigen Tag sollte für dieses Jahr ihre letzte Etappe sein. Sie hatten heute hier ihr Abschiedsessen. Francesco sagte, sein Traum wäre, Sand vom Strand in Barcelona, seiner Heimat, an den Strand von Finisterre zu bringen und dort zu vermischen. Irgendwann zu fortgeschrittener Zeit wurde es dann philosophisch und Carlos sagte einen Satz, den ich mir merken wollte. Este es el la Camino – So ist der Camino, und er meinte damit, das man den Weg und auch das Leben so nehmen muss wie es gerade ist. Eine Einstellung die uns die Südeuropäer voraus haben. Jedenfalls wieder einer der schönen Abende auf dem Camino – Seele des Camino. Im Nachhinein fiel dann doch ein kleiner Schatten auf diesen Abend. Werner hatte an diesem Tag Geburtstag und uns nichts davon gesagt. Heraus kam es einige Wochen später kurz vor Ende des Camino, als die Mutter von Lelia ihm beim buchen des Rückfluges half und er sein Geburtsdatum angeben musste. Eigentlich kein schönes Verhalten unter Pilgern die miteinander den Camino pilgern. Keiner hätte von ihm erwartet das er etwas ausgeben müsste. Aber so ist es manchmal auf dem Caminio das man sich in manchen Menschen täuschen kann und etwas an Ehrlichkeit auf der Strecke bleibt. Ich muss zugeben, das mich dies im Nachhinein schon etwas entäuscht hat, zumal ich doch einige Zeit mit Werner gepilgert bin.