10. Etappe O Milladoiro nach Santiago de Compostela

Trotz der vielen Pilger im Schlafsaal war die Nacht ruhig und ich stand sehr früh auf. Ich hatte ja nur noch 7 km bis zum Ziel, der Kathedrale von Santiago de Compostela. Nach einem Kaffee aus dem Automaten machte ich mich noch in der Dunkelheit auf den Weg. Als die Sonne aufging konnte ich schon von weiten die Stadt sehen. Aber der Weg zog sich noch eine ganze Weile durch die Vorstädte von Santiago hin. Der Weg war relativ schlecht gekennzeichnet, aber man ging irgendwie instinktiv Richtung Kathedrale. Es waren nur ganz wenige Pilger unterwegs und gegen 8.30 Uhr war ich schon in der Nähe der Kathedrale. Die Entscheidung schon am Morgen anzukommen erwies sich als absolut richtig. Es waren kaum Pilger auf dem Obradeiro und man konnte ganz bewusst das ankommen genießen. Ich war schon gestern aufgeregt und zugleich gespannt wie es sein würde, nochmal hier anzukommen. Ich hatte es ja schon zu fünft und zu zweit erlebt. Wie würde es jetzt alleine sein? Eigentlich hatte ich keine großen Erwartungen und war ganz ruhig. Der rote Teppich und das Feuerwerk würden eh ausbleiben. Als ich ankam war es aber dann komplett anders. Irgendwie war es schon eigenartig, es schüttelte mich richtig durch und mir standen die Tränen in den Augen. Auch diesmal gab es diesen Augenblick, von dem es heißt: Irgendwann weinst du auf dem Weg. Das hatte ich nicht erwartet, das mich dieses Ankommen so berührt, war ich doch schon zwei mal an diesem Ort gepilgert. Jeder Weg hat eben seine eigene Geschichte, auch wenn er wieder das gleiche Ziel hat. Ich stand eine ganze Weile mitten auf dem Platz und genoss den Augenblick. Tausend Dinge gingen mir durch den Kopf bis ein Amerikaner kam und mir gratulierte. Danach wollte er wissen, wo hier der Weg nach Finisterre geht. Das wusste ich zwar noch vom letzten mal, musste mich aber trotzdem erstmal orientieren um ihm nichts falsches zu sagen. Jetzt wollte ich mich auf den Weg zum Seiteneingang der Kathedrale machen. Durch diesen soll der Pilger als Zeichen der Demut die Kathedrale betreten und nicht durch die Porta de Gloria. Ich hoffte das sie offen sei, denn in der Kathedrale war Baustelle. Ich war noch nicht ganz über den Platz gelaufen, da traute ich meinen Augen nicht. Vor mir stand mein Freund Dieter (Jung). Dieter kam 2009 als Praktikant in unsere Pfarrei nach Lahm als ich dort noch Pfarrgemeinderatsvorsitzender war. Wir begleiteten ihn dort auf seinen Weg zum Diakon und schließlich zum Pfarrer. In all den Jahren war er mir zum Freund geworden, Als ich ihn sah warf ich meine Wanderstöcke weg und wir fielen uns freudestrahlend in die Arme. Es war der Wahnsinn, das wir beide uns hier in Santiago treffen, obwohl wir zuvor nicht miteinander telefoniert hatten. Er sagte mir zwar beim Skapulierfest in Lahm, als wir uns das letzte mal trafen, das er den Camino Primitivo gehen will. Dabei stellten wir fest, das er fast zur gleichen Zeit wie ich ankommen würde, wussten aber nicht ob es funktionieren würde, den es war schwer abzuschätzen wann ich bzw, er ankommen würde. Es wird mir unvergesslich bleiben, ihn in Santiago am Ende unserer Caminos getroffen zu haben. So etwas kann man eigentlich nicht planen. Dieter und sein Freund Werner wollten an diesem Tag mit dem Bus nach Muxia und Finisterre. Wir verabredeten uns deshalb für den Abend um zusammen Essen zu gehen und unser Treffen in Santiago zu feiern. Ich ging zum Seiteneingang, aber leider war er verschlossen. Also zurück zur anderen Seite der Kathedrale mit dem anderen Seiteneingang. Dort gab es eine Andenkenladen, bei dem man seinen Rucksack deponieren konnte, denn damit darf man nicht in die Kathedrale. In der Kathedrale waren um die Zeit noch nicht all zu viele Leute, So konnte ich mich in Ruhe an das Grab des Apostels begeben und in Stille dort eine längere Zeit zu beten und zu verweilen. Danach wollte ich hoch zum Jakobus um ihn zu umarmen, aber was ich da sah war der Wahnsinn. Woher kamen jetzt all die Menschen? Eine riesig lange Schlange hatte sich gebildet und lies eine längere Wartezeit erwarten. Dies wollte ich mir heute nicht antun und entschloss das in den nächsten Tagen nachzuholen. Vor der Kathedrale hatten sich am Eingang auch bereits längere Schlangen gebildet. Einfach Wahnsinn. Ich entschloss mich wieder nach draußen auf den Platz zu gehen. Vor mir saß auf dem Boden Eike aus Nürnberg. Wir begrüßten und beglückwünschten uns herzlich, als wenn wir uns schon Jahre kennen würden. Jetzt kamen auch Christiane, Vivian, Johanna und Paulina an. Ich begrüßte sie herzlich, gratulierte zur Ankunft in Santiago und freute mich mit ihnen. Es war einfach schön, das strahlen in den Gesichtern zu sehen wenn das Ziel erreicht ist. So nach und nach füllte sich der Platz und das Gewimmel wurde immer größer. Es war also absolut die richtige Entscheidung ganz früh am Morgen anzukommen. Eike und ich entschlossen uns zusammen zur Pilgermesse um 12.00 Uhr zu gehen. Johanna und Paulina kamen dann auch noch dazu. Diese findet aufgrund der Renovierungsarbeiten in der Kathedrale in St. Franziskus statt. Im Vergleich zu den Messen in der Kathedrale waren aber deutlich weniger Menschen in der Mittagsmesse. Für viele gehört die Messe schon nicht mehr zum Ankommen in Santiago. Genauso konnte man beobachten was die Leute nach dem Ankommen auf dem Obradeiro machen. Normalerweise sollte man denken, der erste Weg wäre der zum Grab des Apostels, das ja schließlich das Ziel aller Jakobswege ist, aber weit gefehlt, für viele ist es oft wichtiger zuerst die Urkunde zu bekommen. Auch fuhr mittlerweile eine Bimmelbahn. Sollte der Pilger in Porto am Ende recht behalten, der ins dortige Gästebuch schrieb, Santiago ist mittlerweile wie Disneyland geworden. Jetzt musste ich erst mal eine Unterkunft in Santiago suchen. Was lag näher als zum Seminario Menor zu gehen, in dem wir schon 2017 waren. Es war eine riesengroße Herberge und da bekommt man mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bett. So war es dann auch. Ich bezog mein Bett, schloß meinen Rucksack ein und ging zurück in die Stadt. Auf der Straße rief eine Stimme meinen Namen, ich drehte mich um und es waren Benedikt und Daria. Bei Benedikt musste ich eine Zeitlang überlegen woher ich ihn kannte. Er half mir dann dabei. Wir hatten uns in Porto beim Warten auf die Metro am Flughafen kennengelernt. Wahnsinn ihn hier wieder zu treffen und vor allem, das er sich noch an mich erinnern konnte. Auch Daria hatte ich seit unserer Begegnung in Barcelinho nicht mehr gesehen, aber sie erkannte ich gleich wieder. Pilger die sich finden sollen, finden sich auch wieder. Gleich danach rief wieder eine Stimme nach mir, diesmal aus einer Kaffebar, es war Paulho, der gerade mit Martina einen Espresso trank. Die beiden baten mich dazu. Die Herzlichkeit die beide ausstrahlten war einfach ansteckend. Pilger die einander verstehen finden sich immer wieder zusammen. Im Nu war eine Stunde vergangen und ich wollte ja noch zum Treffen der deutschsprachigen Pilger ins Pilgerzentrum. Zu diesen Treffen waren gerademal 4 Pilger gekommen, schon verückt wenn man bedenkt, wie viele an einem Tag ankommen. Es war trotzdem eine schöne Begegnung in einer ruhigen Atmosphäre und dort auch von den Erfahrungen der anderen Pilger auf dem Weg zu hören. Eine ganz junge Pilgerin erzählte, das sie in Portugal zwei mal belästigt wurde. In der Dunkelheit wurde sie am frühen Morgen von einem Mann mit Maske verfolgt der dabei onanierte. Sie rief daraufhin die Polizei, welche sich aber nicht darum kümmerte. Das andere mal wurde sie sogar angegriffen, sie konnte sich aber wehren, denn sie konnte Kampfsport. Von solchen Horrorgeschichten hatte ich bisher noch nicht gehört. Zum Glück hatte das Mädchen die Erlebnisse gut verarbeitet. Inga, eine Pilgerin aus Köln erzählte, das sie einmal keine Unterkunft fand, und eine Nacht zusammen mit einer anderen Pilgerin in einem Stundenhotel verbringen musste. Irgendwie auch eine eigenartige und skurile Erfahrung. Mit Hans, einem Diakon aus München unterhielt ich mich über die positiven aber auch negativen Seiten des Pilgerns und besonders über die Folgen hier in Santiago – Disneyland eben. Er war das erste mal hier und war nicht dieser Meinung. Aber bei jedem überwog trotz einiger negativer Erlebnisse am Ende die Freude am Camino und das Ankommen am Ziel. Später war dann am Abend die Führung um die Kathedrale. Hier wurden einige Stellen außen an der Kathedrale theologisch ausgelegt. Um die Kathedrale verteilen sich am Abend viele Gaukler und Künstler um ihre Darbietungen zu zeigen. Dabei wir es oft ganz schön laut. Ich sagte mit einem kleinen Seitenhieb zu Hans nur „Disneyland“ und er nickte nur. Schon skuril was aus diesem heiligen Ort gemacht wurde. Mittlerweile waren Dieter und sein Freund Werner aus Finisterre zurück und wir gingen jetzt in den Tapasbars Essen. In einer dieser Bars war ich gerade auf den Weg zur Theke und wurde mit frenetischen Umarmungen begrüßt. Es waren Juan Carlos und Dani, die ich in der Herberge und Bar in Padron getroffen hatte. Ich hatte sie seither nicht mehr gesehen und wir feierten unser wiedersehen wie wenn alte Freunde sich nach langer Zeit wieder treffen. Die Seele des Camino eben. In unserer Stammkneipe in der Nähe der Kathedrale saßen wir den Rest des Abends bei einem guten Wein zusammen und philosophierten über das Leben, den Glauben, den Camino und noch einige andere Dinge. Mein Pate Alois würde sagen: Den Abend leeres Stroh gedroschen, aber ganz so war es auch nicht. Der Abend verging einfach zu schnell und ich hätte mit Dieter sicherlich noch einige Stunden diskutiert. Aber er musste zurück in seine Herberge, Werner war schon eher gegangen, denn morgen mussten sie früh zurück nach Deutschland reisen. Wir verabschiedeten uns nach dieser unglaublichen Begegnung hier in Santiago mit dem Wunsch uns bald wieder mal zu treffen, so Gott will, vielleicht wieder auf dem Camino. Nichts ist ja Zufall. Und auch ich musste schnellstens in meine Herberge, die schloß ihre Tore um 0.30 Uhr. In der Dunkelheit und auch aufgrund von etwas zu viel Wein fand ich fast den Weg nicht und schaffte es gerade noch rechtzeitig. Ein vollgepackter Caminotag mit vielen Erlebnissen und Emotionen ging zu Ende und letzlich war ich froh im Bett zu sein.

Gracias und Buen Camino