Kurz nach 6.00 Uhr verließen wir die Herberge. Heute mussten wir uns wieder mal aus dem Schlafsaal schleichen, da einige noch nicht aufstehen wollten. Frank war auch bereits wach und so liefen wir gemeinsam los. Es war an diesem Junimorgen richtig kalt und nebelig und man konnte die Hand kaum vor den Augen sehen. Irgendwie ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Es waren noch nicht all zu viele Pilger unterwegs. Nach ca. 1 Stunde liefen wir an einer Herberge vorbei und aus dem Nebel hörten wir eine bekannte Stimme. Es war Marianne, sie hatte hier übernachtet und wollte auch gerade losgehen. Der Camino verliert wirklich niemanden. Wir hatten uns ja nicht verabredet oder miteinander telefoniert. Ich sagte wieder mal zu Marianne „Nichts ist Zufall“ und sie musste mir zustimmen, das dies wirklich kein Zufall war sondern eine Fügung. An der Bar stand übrigens ein Stein, auf dem in mehren Sprachen stand: Free Hugs, – Freie Umarmungen. Irgendwie ansprechend. Marianne berichtete uns von einer sehr angenehmen Atmosphäre und schönen Ritualen, die es in der Herberge gab. Schade, das wir die Nacht nicht dort verbrachten. Wir gingen gemeinsam bis zur nächsten Bar und genehmigten uns dort ein leckeres Frühstück. Nach und nach kamen immer mehr Pilger in die Bar, darunter auffällig viele Deutsche. Mit einigen kam man natürlich schnell ins Gespräch. Anscheinend hatten sich in den vergangenen Tagen vermehrt Deutsche auf den Weg gemacht. Der Hape Kerkeling Effekt lässt immer noch grüßen. Am späten Vormittag erreichten wir Palas de Rei. Am Ortseingang steht die Gemeindeherberge, in dieser hatten wir vor 10 Jahren schon übernachtet. Sie war damals gerade neu eröffnet worden. Die Kirche von Palas de Rei ist wirklich sehenswert und einen Besuch wert. Man gibt sich dort besonders Mühe die Pilger die kommen und etwas verweilen wollen spirituell anzusprechen. Bei meditativer Musik verweilten wir eine längere Zeit in der Kirche. Beim Gehen konnte jeder Pilger einen Bibelspruch in seiner Sprache aus einem Korb nehmen. Die Kirche von Palas de Rei, ein wirklich besonderer Ort am Weg. In der Ortsmitte saßen in einer Bar zwei junge Mädchen und riefen uns zu. Wir mussten kurz überlegen, bei den vielen Gesichtern die man mittlerweile kennengelernt hatte. Aber es dauerte nicht lange und wir erkannten sie schnell wieder. Es waren zwei von den Amerikanerinnen die wir in der Herberge Emaus in Burgos kennengelernt hatten. Sie freuten sich uns wieder zu sehen. Leider hatten wir uns nach Burgos aus den Augen verloren, aber der Camino verliert niemanden. Anschließend ging es durch richtige Kuhdörfer auf deren Straßen die Kühe noch frei umherlaufen. So mancher Pilger der nicht ländlich aufgewachsen ist hatte schon gehörigen Respekt vor den großen Tieren. Für Pilger wie uns, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind allerdings nichts ungewöhnliches. Eine lustige Begebenheit dazu gibt es allerdings zu berichten. Die Stühle und Tische einer Bar standen ziemlich nahe an einem Kuhstall und beim heraustreiben der Kühe mussten diese an den Tischen vorbei, dabei leckte eine Kuh bei Edgar von hinten um den Hals. Zumindest musste er sich heute den Hals nicht mehr waschen. Auch so etwas gehört manchmal zum Camino und sorgt für Heiterkeit unter den Pilgern. Eigentlich wollten wir ja nicht mehr in den größeren Orten übernachten sondern antizyklisch in kleineren Orten. Aber es ergab sich heute einfach aufgrund der weiteren Planungen für die nächsten Tage das wir heute Melide als Ziel ansteuerten. Der Weg vom Ortsanfang bis zum Zentrum war relativ lange und es war um die Mittagszeit wieder richtig heiß geworden. Kaum zu glauben, wenn man an den heutigen Morgen bei Kälte und Nebel denkt. Zum Übernachten wollten wir in die Gemeindeherberge die direkt im Zentrum neben der Kirche San Anton lag. Der Name San Anton – welch ein Zufall – oder Zufälle gibt es nicht sondern Fügungen. Meine schwangere Tochter Lisa hatte mir heute morgen geschrieben, das sie seid heute weis, das es ein Junge wird, und als Namen hatten sie sich Anton bereits ausgesucht, wenn es ein Junge werden sollte. Einen Mädchennamen hatten sie ja noch nicht, deshalb fragte ich ja die weiblichen Pilger immer nach ihren Namen, um vielleicht einen geeigneten zu finden. Dies konnte ich nun auch beenden. Zwar schade, denn es war immer lustig den Pilgerinnen zu erklären, warum ich ihren Namen wissen wollte. Viele freuten sich wenn ihr Name in die engere Auswahl von mir kam. „Nichts ist Zufall“ dachte ich nur und freute mich. In der Herberge standen schon viele Pilger an und wir wurden von ihnen mit Umarmung begrüsst. Es waren die Kolumbianer die uns so herzlich begrüßten und wir hatten einander mittlerweile ins Herz geschlossen. Besonders begrüßte mich Fernando. Durch unsere Begegnung im Kloster Samos waren wir so miteinander verbunden. Kurz darauf kam auch noch Catarina aus Italien dazu. Sie entschloss sich allerdings heute noch weiter zu gehen. In der Küche trafen wir auf einen Koreaner namens Lee, den wir in den vergangenen Tagen auch schon hin und wieder getroffen hatten. Irgendwie hießen sehr viele Koreaner Lee. Bei ihm saß seine ganze Familie, seine Frau und 3 Kinder. Sie waren heute aus Korea angereist um ihren Mann/Vater , der seinen Weg in St. Jean pied de Port begonnen hatte, für den Rest des Weges zu Fuß nach Santiago zu begleiten. Wahnsinn welche Strapazen, Entfernungen und Kosten Menschen auf sich nehmen um diesen einzigartigen Pilgerweg zu gehen. Auf dem Platz vor der Kirche gestalteten viele ehrenamtliche Mitarbeiter der dortigen Pfarrei Blumenteppiche für das Fronleichnamsfest, das man am morgigen Sonntag vormittag in Melide feierte. Am Abend wurde in der Kirche ein Pilgergottesdienst gefeiert, den wir selbstverständlich besuchten. Leider waren nicht sehr viele Pilger gekommen. Auch die Kolumbianer waren zu diesem Gottesdienst gekommen. Nach dem Gottesdienst setzten wir uns auf die Veranda der Herberge und tranken unseren obligatorischen Rotwein. Auch Freya, eine junge Frau aus Dänemark kam dazu. Sie erzählte uns ihre Geschichte, das sie 21 Jahre alt sei und einen Sohn von viereinhalb Jahren zu Hause hat. So lange sie auf dem Weg ist passt ihre Mutter auf den Sohn auf. Man merkte ihr an, das sie ihn unheimlich vermisste, war sie doch auch schon 4 Wochen unterwegs. Eine sehr junge Mutter die erstaunlich erwachsen wirkte. Wir wünschten ihr, das sie auf dem Weg das findet was sie sucht. Nachdenklich aber dankbar für die heutigen Erfahrungen und Begegnungen gingen wir schlafen.
Buen Camino