98. Etappe von Astorga nach Foncebadon

Heute schlichen wir uns alle ruhig aus unserem Zimmer, Michail schlief als einziger noch und man wollte ihn nicht all zu sehr stören. Auch das ist ein ungeschriebenes Gesetz auf dem Camino, das man früh nicht einfach das Licht anmacht und seine Sachen zusammenpackt wenn noch einige Pilger schlafen. Meist packt man schon schon am Abend seine Sachen im Rucksack zusammen um am morgen mit ein paar Handgriffen den Rucksack und den Rest seiner Habseligkeiten aus dem Zimmer zu bringen. Im Flur zieht man sich dann erst an und verstaut alles wieder im Rucksack. Mit der Zeit und mit längeren unterwegssein wird man darin immer geübter und routinierter. Es war noch dunkel als wir Richting Kathedrale gelaufen sind. Dort trafen wir schon auf jede Menge Pilger, die auch schon so früh unterwegs waren. Petra aus Bonn sprach mich an, und wir gingen eine ganze Weile miteinander. Wir waren uns schon gestern mal kurz in der Stadt begegnet. Es entwickelte sich eine rege Unterhaltung über das Pilgern. Man war gleich auf einer Wellenlinie und so war die Unterhaltung kurzweilig und intensiv. Man merkt sehr schnell ob sich jemand unterhalten will oder ob er lieber alleine gehen will. Jeder hat da so seine Vorlieben. Kurz nach Astorga kommt eine Kapelle namens „Ecce Homo“. Sie wurde gerade aufgesperrt und wir nahmen die Gelegenheit wahr dort in der leeren Kapelle unseren „Engel des Herrn“ zu singen. Es war nicht immer einfach einen ruhigen Ort für unser tägliches Lied zu finden. Meist sangen wir ihn auf freier Strecke früh am Morgen wenn gerade noch nicht so viele unterwegs waren. Die Strecke im Anschluss war relativ flach und das Pilgeraufkommen war an diesem Tag recht hoch. Wenn viele Pilger unterwegs sind lernt man natürlich auch wieder welche kennen, vorausgesetzt man ist immer offen für solche Begegnungen. Da wir meist mit etwas Abstand zu einander liefen konnte jeder seine eigenen Bekanntschaften machen. So lernte ich 2 Mädels kennen, die seit heute früh zusammen unterwegs waren. Denise kam aus Köln und Shayenne aus dem Münsterland. Es war eine wunderbare Unterhaltung mit diesen beiden jungen Frauen und es ist immer wieder spannend nachzufragen „Warum machst du diesen Weg?“. Die Beweggründe diesen Camino zu pilgern sind recht unterschiedlich, vor allem bei den jüngeren Pilgern. Ich bewundere all die jungen Pilger, die sich die Zeit nehmen können diesen Weg zu gehen und dabei unvergleichliche Erfahrungen zu machen. Shayenne war gerade mal Anfang 20 und suchte auf dem Weg eine Antwort für ihr weiteres Leben. Sie hatte einen neuen Ausbildungsplatz als Krankenschwester gefunden und war sich nicht ganz sicher ob es das richtige für sie ist. Hier erhoffte sie sich eine Antwort zu finden. Am frühen Vormittag erreichten wir dann El Ganso. El Ganso, das ist der Ort wo vor 10 Jahren mein Lieblingslandschaftsbild vom Camino entstand. Hier war das Pilgeraufkommen gerade sehr hoch. Die Cafe Bars waren alle besetzt mit Pilgern. Anscheinend hatte alle Lust auf Cafe con Letche. Hier traf man dann an den Bars viele bekannte Gesichter, so unter anderem auch Frank. Er ist Pastoralreferent und kommt aus der Nähe von Aachen. Ihn hatten wir bereits schon vor einigen Tagen mal kurz kennengelernt. Er war meist schneller als wir unterwegs, und so trafen wir uns meist nur mal in den Cafe Bars am Weg. Gegen Mittag waren wir dann in Rabanal, einer der markantesten Punkte auf dem Jakobsweg. Dort trafen wir Gunter aus Heidelberg unseren Zimmerkameraden der letzten Nacht wieder. Er hatte es sich bereits in seiner Herberge gemütlich gemacht. Wir unterhielten uns noch eine Weile mit ihm und anschließend besuchten wir die Kirche von Rabanal. Da es noch recht früh am Tag war beschlossen wir weiter nach Foncebadon zu gehen. Es war zwar ziemlich heiß und wir wussten das der Weg ca. 2,5 Stunden immer Bergauf ging. Aber es sollte sich lohnen die Strapazen auf sich zu nehmen. Unterwegs trafen wir auf Renate und Eddy. Zusammen machten wir eine längere Rast an einem der Brunnen. Schweißnass kamen wir dann in Foncebadon an. Der Ort hatte sich in den letzten Jahren erheblich verändert und man erkannte ihn fast nicht mehr. Es enstanden jede Menge Herbergen und Bars. Sogar eine Art Hotel für die Pilger ist geplant. Der Ort war voll mit Pilgern. Marianne war auch schon da und bereits frisch geduscht. Sie hatte sich zusammen mit Louis, einem jungen Kolumbianer, mit dem sie heute unterwegs war, eine Unterkunft gesucht. Wir beschlossen in die kirchliche Herberge Domus Dei am Ortsausgang zu gehen. Die Herberge befindet sich an einer Kirche angegliedert und war bereits gut gefüllt. Es standen draussen noch einige Pilger an. Auch Frank, Shayenne und Denis stellten sich hinter uns an, beschlossen aber wieder zu gehen, da ihnen die Herberge zu klein und unsauber erschien. Wir quardierten uns aber dort ein. Wir wurden recht herzlich von Jose Antonio dem Betreuer der Herberge empfangen. Es waren nur noch wenige Betten frei. Die Herberge war sehr einfach ausgestattet was vor allem die sanitären Anlagen betraf und auch im Schlafsaal war es recht eng. Edgar war mittlerweile mit der Herberge nicht mehr einverstanden und wollte am liebsten wieder gehen, da nach seiner Meinung andere Pilger besser untergekommen sind. Alles war irgendwie nicht passend für ihn an diesem Tag. Sollte er etwa unter die Luxuspilger gegangen sein die größeren Komfort brauchen? Vielleicht lag es auch daran, das wir schon so lange unterwegs waren,er die deutsche Ordentlichkeit vermisste und sich nicht mehr mit den Widrigkeiten einer einfachen Herberge abfinden wollte. Ich konnte es jedenfalls nicht verstehen, hatten wir doch solche Herbergen schon des öfteren. Hier musste man sich wieder mehr miteinander absprechen wenn man duschen oder waschen wollte. Das hat aber auch seine Vorteile, so lernt man dann wieder viele neue Pilger kennen wie Natascha aus Lörrach. Sie kommt ursprünglich aus Sibirien, war mit ihrer Mutter unterwegs und sprach 5 Sprachen. Zwischenzeitlich kam auch noch Jens aus Frankfurt und Carla aus Argentinien dazu. Mit ihr kam man auch wieder über den Fußball ins Gespräch. Nach ihre Herkunft gefragt sagte sie, sie kommt aus Rosario, der Heimatstadt von Lionell Messi. Den kennt ja die ganze Welt. Auch Catarina aus Italien kam noch an diesem Tag hinzu. Um noch etwas trinken zu gehen musste man allerdings vom Ortsausgang wieder zurück zur Dorfmitte laufen. Die Bars waren voll mit bekannten Gesichtern und es war an diesem Nachmittag einfach herrlich draußen vor der Tür zu sitzen, ein Bier zu trinken und sich mit all den Bekannten zu unterhalten. Auf der Straße liefen und schliefen die „Wilden Hunde von Foncebadon“ wie sie von Hape Kerkeling in seinem Buch beschrieben wurden. Auch ein Besuch der kleinen Kirche sollte sich lohnen. Sie ist zwar spärlich eingerichtet, hatte aber für mich eine besondere Anziehungskraft. Irgendwie war hier eine besondere Ruhe zu spüren. In der Herberge wurde heute gekocht. Jose ein  Spanier hatte sich bereiterklärt für alle Pilger Paellea zu machen. Die Vorspeisensalate machten wir alle gemeinsam. Die Zutaten für das Abendessen wurden vom Hospitalero besorgt. Choo und die beiden Lees, die drei kamen aus Südkorea, deckten mit mir zusammen den Tisch. So hatte jeder der Pilger eine Aufgabe übernommen. Mit einem gemeinsamen Tischgebet begannen wir mit dem Abendessen. Gerade hier in diesen einfachen Herbergen kommt ein unheimliches Gemeinschaftsgefühl auf, das man sonst nirgendwo so erleben kann. Auch die Herzlichkeit mit der man einander begegnet ist einzigartig, wenn man bedenkt, das man sich einander nur wenige Stunden kennt. Wir waren über eine Stunde mit dem Essen beschäftigt und genossen das Essen und die Unterhaltung. Wir saßen neben Choo und den beiden Lees. Die Asiaten waren sehr nett und zudem sprach Choo einige Worte deutsch. Wir hatten uns schon in den vergangenen Tagen immer wieder mal getroffen, waren aber nicht näher ins Gespräch gekommen. Heute war das etwas anders, die anfänglichen Berührungsängste verflogen und wir hatten einen netten Abend miteinander. Das notwendige abspülen des Geschirres übernahmen dann zwei Italiener. Anschließend saßen wir noch zusammen auf der Veranda und ließen den Abend ausklingen. Mit Vorfreude auf den nächsten Pilgertag gingen wir schlafen.

Buen Camino